LILI INTENSIV

 

Judith Lava erfand vor einigen Jahren die Kunstfigur Lili, die wie sie selbst sagt, mittlerweile ein Eigenleben bekommen hat. Lili fordert. Sie lebt unverblümt und direkt ihre Emotionen aus. Sie zeigt uns Intimes, wie Geburtsschmerz, Freude, Zorn, Sexiness, Selbstverliebtheit, Aggression oder einfach nur Unbeschwertheit.

 

Um Gefühlen eine Form zu geben knetet Judith Lava den kleinen Modellkörper von Lili aus Wachsknetmasse. Lili ist eine animierte Figur, eine moderne Marionette im Trickfilm. Oder wie wir sie hier zu sehen bekommen, ist Lili mit dem Maßstab der realen Welt konfrontiert, zum Beispiel gefangen im Kaffeeglas oder in der Schmuckschatulle. Die Ambivalenz der Figur Lili, einerseits als starke Frau, den Ton angebend, andererseits verletzlich, der Umwelt ausgeliefert zu sein, macht sie so charmant. Der Satz „So spielt das Leben eben “ kommt mir in den Sinn.

 

Wenn es sich um interessante Kunst handelt – interessant im Sinn von „ Einen betreffen“- kann man im Einfachen das Existentielle bemerken. Im Fall Lili sind das Themen des Alltags und des ganz Intimen und ganz intimer Körperteile. Lili lebt mit uns in einer Zeit, in der uns die Bilder alles zeigen und kein Geheimnis mehr übrig lassen. Das Innere wird mit Magnetresonanzen und anderen Techniken abgetastet, das Äußere spiegelt der Einzelne selbstständig in tausenden von Selfies und versucht ein individuelles Image von sich zu erzeugen, das von den anderen bemühten Freunden beklatscht oder besser gesagt: ge – liked wird.

 

Das Gegenteil ist der Fall, nichts Individuelles bleibt übrig, alles wird gleich und angeglichen. Wen schockieren in dieser veröffentlichten Welt zwei kleine Schamlippen aus Wachsknetmasse? Um einen Schock geht es somit wohl nicht. Man könnte den Satz „Lili fordert.“ vielleicht auch folgendermaßen weiterführen: „Lili fordert Judith heraus.“

 

Aber die Digitalisierung der Welt, eine Nuance der Globalisierung,  fordert als Tribut die Normierung der Individuen. Zumindest in den früheren westlichen Industriestaaten ist es zum Kanon geworden das eigene Leben zu inszenieren und das scheinbar Intime zu veröffentlichen. Man kann es im eigentlichen Sinn von „geheimsten Inneren“ nicht mehr „intim“ nennen.

 

Umso mehr erfordert es Mut, allen Moden zum Trotz den Versuch zu machen das geheime Innere zu erkunden und auszustellen. Um wessen Gefühle handelt es sich aber? Auf einer langen Fahrt nach Czernowitz, als ich Judith kennen lernte, sprachen wir über den Namen Lava. Der Name klingt gut, weich, samtig und gleichzeitig gewaltig. Die Geschichten von Lili erscheinen mir so vertraut wie Judiths Name. Vertraut, weil sie sich die Menschen schon seit vielen Jahrhunderten in immer neuer Form erzählen. Die Geschichten wie man sich in der Welt verortet: Man nennt sie auch „Mythologie“.

 

Caroline Heider